Waren richtig prüfen

(Bild: O-Ring Prüflabor Richter GmbH)

26.11.2018 Waren richtig prüfen

Hinweise zur Qualitätssicherung zugekaufter Elastomerdichtungen – Teil 1: Notwendige Prüfungen

von Dipl.-Ing. (FH) Ulrich Blobner (O-Ring Prüflabor Richter GmbH), Dipl.-Ing. Bernhard Richter (O-Ring Prüflabor Richter GmbH)

Wenn Dichtungen versagen, ist der Ärger vorprogrammiert. Gründe dafür gibt es viele. Da sie aber meist zugekauft werden, kann man sich mit der richtigen Eingangskontrolle viel Ärger sparen.

In den meisten Fällen sind Dichtungen Artikel, die wenige Cent kosten und kaum Beachtung erfahren, deren Versagen aber ganze Maschinen oder Fahrzeuge zum Stillstand bringen kann. Auch bei kleineren Dichtungsschäden nimmt die Toleranz der Endkunden immer mehr ab. Hinzu kommt, dass in der Beschaffung der Einsparungsdruck immer mehr zunimmt, leider oft auf Kosten der Qualität. Außerdem gibt es durch internationalen Einkauf und häufigere Wechsel der Dichtungshersteller immer seltener langjährige Kunden-Lieferantenbeziehungen, in denen gegenseitige Vertrauen und dauerhafte Geschäftsbeziehungen ein Garant für konstante Qualität waren. Und schließlich werden Dichtungen meist in Betrieben verbaut, deren Kernkompetenz im Bereich Metalle liegt. Elastomere verhalten sich aber grundlegend anders als Metalle und erfordern eine andere Herangehensweise im Bereich der Qualitätssicherung. Aus diesen Gründen sind Dichtungsanwender gut beraten, sich intensiv mit Sinn und Zweck und schließlich der effektiven Umsetzung und Ausgestaltung einer Wareneingangsprüfung für Elastomerbauteile zu befassen.

Werkstoff- vs. Fertigteilprüfung
Vor der Beschaffung einer neuen Dichtung steht die Werkstoffauswahl. Normalerweise gibt der Konstrukteur durch hausinterne Spezifikationen oder internationale Normen (z.B. ISO 3601-5 für O-Ringe) das benötigte Eigenschaftsprofil vor. Nun wird der Einkauf aktiv und sucht Dichtungshersteller, die diese Forderungen erfüllen können. Dichtungshersteller weisen die Eignung durch interne Werkstoffprüfberichte nach, deren Ergebnisse an Prüfplatten ermittelt wurden, welche unter idealen Voraussetzungen hergestellt wurden. Zur Anwendung kommen aber Dichtungen, die zwar aus demselben Compound, aber unter anderen Bedingungen hergestellt wurden. Manche Eigenschaften können (chargenweise) erheblich von den an Prüfplatten gemessenen Werten abweichen. Deswegen sollten mit dem Lieferanten sowohl Sollwerte an Prüfplatten als auch an Fertigteilen vereinbart werden.

Prüfumfänge an Fertigteilen im Wareneingang
Die Auswahl des richtigen Prüfumfangs ist nicht nur ein Kostenfaktor, sondern in einigen Fällen auch entscheidend für den (Qualitäts)erfolg eines Unternehmens. Generell kann man sagen, dass der Prüfumfang und die Prüfhäufigkeit größer sein sollten, je sicherheitsrelevanter die betroffene Dichtung ist. Ebenso empfiehlt sich ein/e größere/r Prüfumfang/Prüfhäufigkeit bei neueren Lieferanten bzw. nach Reklamationen. Auch das Prozessrisiko bei der Herstellung der Dichtungen kann ein Kriterium sein. So ist z.B. das Schwankungsrisiko bzgl. des Vulkanisationsgrades bei peroxidisch vernetzten EPDM-und HNBR-Dichtungen erheblich größer als bei schwefelvernetzten NBR- oder bisphenolisch vernetzten FKM-Dichtungen.

Zur korrekten Ausführung der einzelnen Prüfmethoden helfen das regelmäßige Studium und Nachschlagen der jeweiligen Prüfnormen. Normen sind oft als „trockener Stoff „verschrien“, jedoch fließt bei ihrer Erstellung viel Praxiswissen in unzähligen Beratungsrunden ein. Bei tiefer gehenden Fragestellungen kann man auch Hilfe in der Fachliteratur, z.B. [1], oder in den Informationen von Dichtungsherstellern oder des O-Ring Prüflabors Richter [2] finden.

Es ist sinnvoll, bei Gummidichtungen folgendes Minimalprogramm durchzuführen:
• Die drei Identitätsprüfungen bestehen aus der Überprüfung von Dichte, Härte und den Maßen.
• Die Überprüfung der Verarbeitungsqualität erfolgt mithilfe des Druckverformungsrestes und der Oberflächenkontrolle.
• Der Bereich der Mischungsqualität wurde bereits im Vorfeld bei der Auswahl des Compounds festgelegt. Aufgabe der Wareneingangsprüfung ist nun, sicherzustellen, dass sich an der Mischungszusammensetzung nichts ändert und dass die Mischung unter angemessenen Bedingungen verarbeitet wurde. Nur so ist eine gute und konstante Dichtungsqualität abzusichern.

Dichtemessung
Die Dichteprüfung ist eine nicht zerstörende Prüfung, welche einfach und gut reproduzierbar mit Analysenwaagen durchgeführt werden kann. Außerdem kann diese Prüfung an Bauteilen mit unterschiedlichsten Geometrien ausgeführt werden. Nach dem Archimedischen Prinzip wird der Probekörper zuerst in Luft und dann in einem flüssigen Medium (Alkohol oder Wasser) gewogen. Bei aktuellen Dichtewaagen wird die Probekörperdichte automatisch berechnet. Bei geschäumten Dichtungen können spezielle Einhängekörper für die Wägung im Auftriebsfluid verwendet werden, womit auch Auftriebskräfte gemessen werden können.

Die Dichte hängt stark vom Basispolymer ab, wird aber auch durch Füllstoffe beeinflusst. Mischungen sind heute reproduzierbar innerhalb ± 0,02g/cm3 Toleranzbereich herstellbar und prüfbar, nur FKM bzw. FFKM sollte ein größerer Toleranzbereich von ±0,03g/m3 zugebilligt werden. Mithilfe der Dichteprüfung kann mitunter eine Materialverwechselung oder ein unerlaubter Austausch von Mischungsbestandteilen erkannt werden. Zum genaueren Nachweis solcher Probleme werden aber weiterführende Analysen benötigt (z.B. TGA, IR-Spektroskopie u.a.). Die Dichteprüfung erfolgt bei Elastomeren nach den Normen DIN EN ISO 1183-1 [3] oder ISO 2781.

Härtemessung
Durch das praktische Shore A-Härtehandprüfgerät, das seit über 100 Jahren nicht mehr aus der Gummifertigung wegzudenken ist, ist diese Prüfmethode wohl die am meisten eingeführte und bekannteste. Dies ist nicht immer zum Vorteil für die Qualität dieses Prüfverfahrens. Von den drei Identitätsprüfungen ist die Härte das mit der schlechtesten Reproduzierbarkeit, aber ihren Ergebnissen wird in der Praxis oft die größte Bedeutung zugemessen. Hinzu kommt, dass sich an fertigen Dichtungen nur selten normgerecht prüfen lässt. Deswegen empfiehlt es sich mit dem Hersteller zu Beginn das Prüfverfahren (idealerweise IRHD-M) und die Härteprüfwerte sowohl an Prüfplatten als auch am fertigen Erzeugnis festzulegen. Bei komplizierten Dichtungsgeometrien sollte auch der Prüfbereich abgestimmt werden. Üblich sind Toleranzbereiche von ± 5 Shore A- bzw. IRHD, M-Grade. Bei kleineren O-Ring-Schnurstärken wird das Härtetoleranzfenster meist auf +5/-8 IRHD, M-Härtegrade vergrößert. Die Härteprüfung erfolgt bei Elastomeren meist nach der ISO 48 (IRHD-Verfahren [4]) und ISO 7619-1 bzw. 868 (ShA-Verfahren [5]).

Maßkontrolle
Da viele Dichtungsanwender eine hohe Kompetenz im Prüfen von metallischen Erzeugnissen haben, besteht die Gefahr, Selbstverständlichkeiten aus diesem Bereich auf Gummi zu übertragen. Jedoch ist dieser Werkstoff aufgrund seiner elastischen Eigenschaften anders zu behandeln. Aus diesem Grund haben sich in jüngster Zeit immer mehr berührungslose Messsysteme [6] durchgesetzt. So kann ein Laser-Scan-Mikrometer den klassischen Messtaster und optische 2D-Messmaschinen können die herkömmlichen Prüfdorne ersetzen. Besonders bei Dichtungen, die im Kraftnebenschluss verbaut werden, ist der Verformungsgrad in der Nut für eine lange und korrekte Dichtungsfunktion entscheidend. Deswegen ist die reproduzierbare und unverfälschte Messung der Maße sehr wichtig. Die ISO 3601-1 befasst sich mit den Maßen von O-Ringen und zeigt beispielhaft realistische Toleranzen von Gummidichtungen.

Druckverformungsrestprüfung (DVR)
Bei den Prüfungen zur Verarbeitungsqualität hat sich die Druckverformungsrestprüfung [7] immer mehr durchgesetzt. Eine Härteprüfung gibt nur unzureichende bis keine belastbaren Informationen über den Vernetzungsgrad. Der Vorteil der Härteprüfung besteht darin, dass sich mit ihr auch viele Fertigteile ohne große Vorbehandlung prüfen lassen. Allerdings gilt hier wie bei der Härteprüfung auch, dass die DVR-Werte vorab mit dem Lieferanten abgestimmt werden sollten, da diese Prüfmethode stark von Probekörpergeometrie und Verarbeitung beeinflusst werden

kann. Die DVR-Prüfung erfolgt i.d.R. nach der ISO 815-1. Realistische Vorgaben für Druckverformungsrestwerte an Fertigteilen finden sich in der ISO 3601-5, Tabelle 2.

Sichtkontrolle
Schließlich sollte zum Grundprüfprogramm noch eine Sichtkontrolle gehören. Dadurch lassen sich schon früh mögliche Verarbeitungsprobleme erkennen [8]. Unzulässige Oberflächenabweichungen werden in der ISO 3601-3 beschrieben. Kritische Oberflächenfehler sind insbesondere Fließlinien und kleine Anrisse, welche unter betriebsbedingten Temperatur- und Druckbeanspruchungen zum kompletten Bauteilausfall führen können. Circa 17% aller im O-Ring Prüflabor Richter untersuchten Schadensfälle der letzten zehn Jahre gingen letztlich auf Herstellungsfehler zurück. Durch eine konsequent angewandte Sichtprüfung erkennt man die Effektivität der Endkontrolle des Lieferanten. Eine wirtschaftliche Produktion von Elastomerteilen ist nicht ohne Ausschuss möglich. Ein Qualitätsmerkmal eines Lieferanten ist ein sicherer Herstellungsprozess mit nur geringen Streuungen in der Ausschussquote und eine effektive Endkontrolle ohne Durchschlupf von Fehlerteilen, was in der Regel eine automatisierte visuelle Endkontrolle bedeutet.

Außer der DVR-Prüfung sind alle oben genannten Prüfmethoden nicht zerstörend. Dies kann bei größeren Prüfumfängen von Vorteil sein.

In Ausnahmefällen kann noch eine Zugprüfung an Fertigteilen Sinn machen. So können z.B. hohe relative Standardabweichungen (> 15%) in der Zugfestigkeit oder Reißdehnung darauf hinweisen, dass der Fertigungsprozess mangelhaft ist.

Der Bereich der zusätzlichen Sonderprüfungen im Wareneingang umfasst praktisch alle Prüfmethoden und muss individuell bei kritischen Anwendungen abgestimmt werden.Bei solchen Sonderprüfmethoden, aber auch bei einer Neubewertung bestehender Wareneingangsprüfumfänge mit dem Ziel einer Reduzierung kann sich fachliche externe und herstellerunabhängige Beratung bezahlt machen, da nutzlose Prüfungen über die Jahre nicht unerhebliche Kosten verursachen können.


Weiterführende Literatur

[1] BROWN, Roger: Physical Testing of Rubber, Springer Verlag, 2006 [2] https://www.o-ring-prueflabor.de/de/fachaufsaetze/ (siehe Rubrik Fachwissen Prüfverfahren) [3] Die aktuell gültigen Ausgaben und nähere Beschreibungen der im Folgenden zitierten Normen sind folgender Webseite zu entnehmen: https://www. beuth.de/de/regelwerke [4] https://www.o-ring-prueflabor.de/files/ fachwissen_h__rtepr__fung_05_2014_1.pdf und https://www.o-ring-prueflabor.de/files/ fachwissen_o_ringe_qs_an_o_ringen_ lang__08_2018.pdf und [5] https://www.o-ring-prueflabor.de/files/ fachwissen-100_-jahre_-shorea-12_2015.pdf [6] https://www.o-ring-prueflabor.de/de/fachaufsaetze/stand-der-technik-bei-der-pruefung-von-gummidichtungen-und-elastomeren-werkstoffen/ [7] https://www.o-ring-prueflabor.de/files/ fachwissen_druckverformungsrestpruefung_06_2015.pdf.pdf [8] https://www.o-ring-prueflabor.de/files/ fachwissen_schaden_herstfehler_risse_10_2017.pdf

Wird in DICHT! 1.2019 fortgesetzt

Fakten für Konstrukteure
• Elastomere verhalten sich anders als Metalle und können – je nach Beschaffungsquelle – in der Qualität stark variieren. Dies sollte berücksichtigt werden

Fakten für Einkäufer
• Wareneingangsprüfungen von Dichtungen sind aufwändig. Ob sich ein häufiger Lieferantenwechsel lohnt, nur um ein paar Cent zu sparen, sollte sorgfältig geprüft werden
• Die Wareneingangskontrolle kann auch nach außen verlagert werden. Von vielen Pflichten entbindet das nicht

Fakten für Qualitätsmanager
• Qualifizierte Mitarbeiter, die etwas von Dichtungen und dem Werkstoff Gummi verstehen, sind eine zentrale Säule für gute Produktqualität

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Lösungspartner

O-Ring Prüflabor Richter GmbH

Zielgruppen

Einkauf, Konstruktion & Entwicklung, Qualitätssicherung