Ihre Meinung zählt!

Derzeit läuft unsere Umfrage zum Kleben.Markt 2024

Ihre Meinung zählt!

Jetzt gleich teilnehmen: zur Umfrage

Richtig kleben will gelernt sein – Teil 11

(Bild: Fraunhofer IFAM)

09.09.2021 Richtig kleben will gelernt sein – Teil 11

DIN 2304 Kernelement 1: Klassifizierung der Klebungen nach Sicherheitsanforderungen

von Professor Dr. Andreas Groß (Fraunhofer IFAM)

Kleben funktioniert, wenn man es richtig macht. Und „richtig machen“ bedeutet, alle relevanten Aspekte ganzheitlich zu berücksichtigen. In Fortführung des Leitfadens „Kleben – aber richtig“ des IVK e.V. geht dieser Teil auf das erste Kernelement der DIN 2304, die „Klassifizierung der Klebungen nach Sicherheitsanforderungen“ ein.

Wie für die DIN 2304 (allgemeine Industrie) gelten die nachfolgenden Kriterien genauso in den anderen QS-Standards (DIN 6701 und prEN 17460 (Schienenfahrzeugbau)) sowie ISO/DIS 21368 (allgemeine Industrie). Folgende Klassifizierungen sind – sollte eine Klebung versagen – vorgesehen:

  • S1: Leib und Leben sind mittelbar oder unmittelbar gefährdet.
  • S2: Die Gefährdung von Leib und Leben ist möglich, außerdem kann es zu großen Umweltschäden kommen.
  • S3: Personen- und/oder Umweltschäden sind eher unwahrscheinlich. Es kommt wahrscheinlich maximal zu Komfort- und/ oder Leistungseinbußen.
  • S4: Personen- und/oder Umweltschäden sind auszuschließen. Wenn überhaupt, kommt es wahrscheinlich maximal zu Komfort- und/oder Leistungseinbußen.

Die folgenden Ausführungen beziehen sich schwerpunktmäßig auf die DIN 2304, gelten aber auch für die anderen o.g. Normen. Sie sind alle grundsätzlich auf jede Klebung mit der Hauptfunktion der Übertragung mechanischer Lasten und auf jeden eingesetzten Klebstoff, unabhängig von dessen Verfestigungsmechanismus, Verformungs- und Festigkeitseigenschaften, anzuwenden.

Welche Probleme entstehen in der Praxis, wenn die Klassifizierung einer Klebung, z.B. nach DIN 2304, nicht fachgerecht erfolgt? Die Klassifizierung nach den genannten Sicherheitsanforderungen bezieht sich ausschließlich auf die eine einzige Frage: Was passiert, wenn die Klebung versagt? Für andere Anforderungen an eine Klebverbindung wie Lebensmitteltauglichkeit, Brandschutzbestimmungen, Einhaltung von Emissionsvorschriften, Arbeits- und Umweltvorschriften u.a. gelten andere Regelwerke. Um bei der durchzuführenden Folgenabschätzung des Klebungsversagens zu verhindern, dass eine Klebung „vergessen“ wird, muss ausnahmslos jede Klebung, also auch die, bei der klar ist, dass keine Sicherheitsanforderung gilt (siehe S4), betrachtet werden. Im Weiteren ist zu berücksichtigen, dass Klassifizierungen nicht generalisiert werden können. Weil die eine Scheibenklebung als S1-Klebung eingestuft ist, sind nicht alle Scheibenklebungen automatisch S1-Klebungen. Weil es sich bei dem einen geklebten Piktogramm um eine S4-Klebung handelt, sind nicht automatisch alle geklebten Piktogramme S4-Klebungen. Die Klassifizierung erfordert keine spezifische Klebkompetenz. Hier reicht der gesunde Menschenverstand.

Wie vermeidet der Anwender Probleme mit der Klassifizierung einer Klebung, z.B. nach DIN 2304, am besten? Die normgerechte Erfüllung aller Kernelemente – so auch die Klassifizierung jeder Klebung – liegt ausschließlich im nicht teilbaren und nicht übertragbaren Verantwortungsbereich des Anwenders, keinesfalls in dem des Klebstoff- bzw. Klebebandherstellers. Letztere können einen Anwenderbetrieb lediglich (und juristisch nicht belastbar) beraten, jedoch keine Entscheidungen treffen. Diese obliegen einzig und allein dem Anwenderbetrieb. Die Klassifizierung S1 bis S4 muss möglichst realistisch erfolgen. Dabei sind fiktive Schreckensszenarien durch Aneinanderreihung aufeinanderfolgender potenzieller Versagensfolgen, deren Eintrittswahrscheinlichkeit bereits ab der zweiten Eskalationsstufe gegen Null geht, zu vermeiden. Auch hier gilt der gesunde Menschenverstand! Am einfachsten erweisen sich i.d.R. die Klassifizierungen S1 (mittelbare/unmittelbare Gefährdung von Leib und Leben) und S4 (definitiv keine Personenschäden). Die Unterscheidung in S2- (mögliche Gefährdung von Leib und Leben sowie Umwelt) und S3-Klebungen (wahrscheinlich keine Gefährdung von Leib und Leben sowie Umwelt) erweist sich normalerweise als am diskussionsintensivsten, da die Grenzen im Einzelfall fließend sein können. Bei allen Klassen ist der Entscheidungsfindungsprozess zur Klassifizierung für außenstehende Dritte nachvollziehbar zu dokumentieren. Der Anwender sollte das bei seiner Entscheidung für S2 oder S3 besonders berücksichtigen. Im Falle von S4-Klebungen ist die Klassifizierung aber auch das Einzige, was nach Norm(en) dokumentiert werden muss.

Über welches Know-how sollten die am Klebprozess Beteiligten hinsichtlich der Klassifizierung einer Klebung, z.B. nach DIN 2304, verfügen? Die „Klassifizierung“ erfordert zunächst einmal keine klebtechnischen Kenntnisse, lediglich den bereits erwähnten gesunden Menschenverstand. Für die Kernelemente „Klebaufsichtspersonal“ und „Nachweisführung“, die in den beiden folgenden Teilen dieser Kolumne beleuchtet werden, sind dagegen bei sicherheitsrelevanten Klebungen (S1 – S3, nicht bei S4!) klebtechnische Kompetenzen für das Personal nachzuweisen.

Die nächste Ausgabe dieser Kolumne beschäftigt sich mit dem zweiten Kernelement: „Einsetzung von Klebaufsichtspersonal“

Professor Dr. Andreas Groß, Fraunhofer IFAM
„Die Klassifizierung von Klebungen nach Sicherheitsanforderungen ist kein Hexenwerk – der gesunde Menschenverstand und eine ordentliche Dokumentation reichen.“ Professor Dr. Andreas Groß, Fraunhofer IFAM

Lösungspartner

Fraunhofer IFAM
Fraunhofer IFAM

 

Zielgruppen

Produktion & Fertigung, Qualitätssicherung, Unternehmensleitung