Genauer betrachtet

Vergleichbetrachtung: Flansche DN40 PN40 mit Faserstoffdichtung und Wellringringdichtung mit Grafitauflagen, Gewindebolzen 25CrMo4 und unter Berücksichtigung des Einflusses des Fügens (Bild: Lannewehr + Thomsen GmbH & Co KG)

15.06.2020 Genauer betrachtet

Dichtungskonzepte und ihre technischen Grenzen

von Peter Thomsen (Lannewehr + Thomsen GmbH & Co. KG)

Es gibt oft technische Mittel und Wege, die auf den ersten Blick scheinbar die Lösung für ein Problem bieten. Auf den zweiten Blick und genauer betrachtet, werden systembedingte Grenzen deutlich – und Probleme in der Praxis sind dann eigentlich vorprogrammiert. Thema dieser Ausgabe ist die Funktion einer Flanschverbindung und hier das Verhältnis von Schraubenkraft und Dichtheit.

Flanschverbindungen sind komplexe Gebilde, was in der Praxis immer wieder unterschätzt wird. Die Auswahl der Bauteile und die Montagevorgaben müssen verschiedene grundsätzliche Anforderungen erfüllen, die nicht immer einfach in Einklang zu bringen sind. In der VDI 2290 [1] wird im Abschnitt 7 gefordert, dass die zulässigen Spannungen der Bauteile auszuschöpfen sind. In den üblichen analytischen Berechnungen wird mit der Leckagerate nach der VDI 2290 und den Kennwerten nach DIN EN 13555 [2] gerechnet. Erschwerend kommt hinzu, dass die Kennwerte für die Dichtungen nicht in Flanschverbindungen und zum Teil mit Verfahren ermittelt werden, die die Realität in Flanschverbindungen nicht widerspiegeln. Nicht beachtet wird das Minimierungsgebot schädlicher Emissionen aus dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) vom 15.03.1974, zuletzt geändert 08.04.2019, also die grundsätzliche Frage, ob es nicht bessere Bauteile gibt, die Verwendung finden müssen. Auch die grundsätzliche Bedeutung der richtigen Betrachtung von Schrauben und deren technisch mögliche Anwendung wird nicht beachtet.  Bild 1 zeigt die Anwendungsgrenzen und die Bedeutung der Schrauben, den Einfluss von unterschiedlichen Dichtungen in einer Flanschverbindung DN40 PN40 nach DIN EN 1092-1, Typ 11 mit Dichtleisten Form C [3]. Diese Geometrie wurde gewählt, weil sie den üblichen Testflanschverbindungen für die TA Luft und der Geometrie der Prüfmaschinen zur Kennwertermittlung nach DIN EN 13555 entspricht. Ergänzend wird ein sehr wichtiger Einflussfaktor, das ggf. erforderliche Fügen und die Folgen der dadurch bedingten Vorspannkraftverluste, aufgezeigt. Die Vorspannkraftverluste fehlen für die Verpressung der Dichtung. Die Grafik ist so komplex, wie die Flanschverbindung selbst und zeigt nicht die Folgen von Kriechrelaxationen von Dichtungen, die erheblich sein können. Zum besseren Verständnis wurde die Grafik mit Kennbuchstaben versehen:

a) Anwendungsgrenzen der Schrauben – die Ausnutzung der Streckgrenze ist nicht möglich, weil die betrieblichen Zusatzkräfte und die Streuungen aus den Montageverfahren Reserven erfordern. Eine sichere Funktion ist zwischen der optimalen Schraubenauslastung mit 70 % Rp0,2 und der mindesterforderlichen Schraubenauslastung mit 50 % Rp0,2 gegeben. 

b) Nennung der Drehmomente bei der Reibzahl 0,12. Anmerkung: Ein Nennen von Drehmomenten ohne Reibzahlangabe ist nicht zulässig.

c) Zeigt den gefährdeten Bereich der Schraube – unter 50 % Steckgrenzauslastung droht durch äußere Einflüsse, wie z.B. Schwingungen oder Kriechrelaxation der Dichtung, ein selbsttätiges Lösen der Schraubverbindung. 

d) Folgen der Streuung aus dem Montageverfahren – durch Streuungen aus der tatsächlich auftretenden Reibzahl und dem Montageverfahren ist von ca. 30 % auszugehen.

e) Für das Fügen der Verbindung erforderliche Vorspannkräfte ergeben einen Vorspannkraftverlust für die Dichtung. Nach einer Montage mit 10 % des Nenndrehmoments (NDM) der Schrauben – max. 20 % einzelner Schrauben – muss die Fügung überprüft werden, damit zumindest bei weiterer Montage von Flächenpressung auf der Dichtung ausgegangen werden kann. Anmerkung: Dieser wichtige Schritt wird nach nahezu allen Montageanweisungen nicht durchgeführt.

f) Mit diesen Schraubenkräften ist die Dichtung noch nicht ausreichend gepresst, die Zahlen ergeben die erforderlichen Schraubenkräfte. Anmerkung: Die erforderlichen und max. zulässigen Flächenpressungen wurden dem DICHTUNGSVADEMECUM [4] entnommen.

g) Bei diesen Schraubenkräften ist von Dichtheit auszugehen. Der Wert gibt die maximale Schraubenkraft an, die die Dichtung ertragen kann. Durch Streuung von Montagekräften kann die Faserstoffdichtung überpresst werden.

h) Diese Angabe nennt die Schraubenkraft, die für die 30 MPa Flächenpressung nach dem üblichen TA Luft-Test nach VDI 2440 [5] erforderlich ist. Die erreichte Dichtheit (Leckrate) für RT/20 °C wird genannt. Sie gilt für die Montage und den Einsatz der Dichtverbindungen bei niedriger Temperatur.

Es zeigt sich, dass es Dichtungen gibt, die wesentlich besser auf die Schraubenkräfte reagieren und eine deutlich niedrigere Leckage verursachen. Diese zeichnen sich auch durch eine niedrige Kriechrelaxation aus. Es ist dringend erforderlich, die Betrachtungsweise für Flanschverbindungen zu ändern und die Berechnungsmethoden anzupassen. Die Berechnungen müssen einen Abgleich der Werte nach den Grenzen der Schraubennutzung beinhalten. Es ist nicht verwunderlich, dass „vernünftig“ verwendete Schrauben und „gute“ Dichtungen die Anforderungen der Regelwerke erfüllen und zu sicher funktionierenden Flanschverbindungen führen. Anmerkung: Es empfiehlt sich, das Fachbuch der Schraubtechnik „Schraubenverbindungen“ [6] zu lesen und die grundsätzlichen Ausführungen zu beachten. Besonders relevant ist der Hinweis in Kapitel 9, Abschnitt 9.3.1.1 „Zur Vermeidung unzulässig großer Setz- und oder Kriechbeträge sollten keinesfalls plastische oder quasielastische Elemente (Dichtungen) mitverspannt werden.“ Dichtungen mit sehr niedriger bis hin zu keiner Kriechrelaxation wären demnach, was auch sinnvoll ist, zulässig. 

Literatur:

[1] VDI 2290:2012-06, Emissionsminderung – Kennwerte für dichte Flanschverbindungen

[2] DIN EN 13555:2014-07, Flansche und ihre Verbindungen – Dichtungskennwerte und Prüfverfahren für die Anwendung der Regeln für die Auslegung von Flanschverbindungen mit runden Flanschen und Dichtungen 

[3] DIN EN 1092-1:2016-12, Flansche und ihre Verbindungen – Runde Flansche für Rohre, Armaturen, Formstücke und Zubehörteile, nach PN bezeichnet – Teil 1: Stahlflansche

[4] DICHTUNGSVADEMECUM – Wissen und Grundlagen zur statischen Dichtungstechnik, Peter Thomsen und Co-Autoren, Verlag PP PUBLICO Publications, ISBN-13: 978-3-934736-23-8

[5] VDI 2440:2000-12, Emissionsminderung – Mineralölraffinerien

[6] Schraubenverbindungen – Grundlagen, Berechnung, Eigenschaften, Handhabung, Heinrich Wiegand, Karl-Heinz Kloos und Wolfgang Thomala, Springer Verlag, ISBN-13: 978-3-540-21282-9

Lösungspartner

Lannewehr + Thomsen GmbH & Co. KG
Lannewehr + Thomsen GmbH & Co. KG

 

Zielgruppen

Konstruktion & Entwicklung, Einkauf, Qualitätssicherung, Unternehmensleitung