Schäden erkennen und vermeiden

(Bild: O-Ring Prüflabor Richter GmbH)

15.06.2020 Schäden erkennen und vermeiden

Dynamisch bedingtes Überströmen

von Dipl.-Ing. Bernhard Richter (O-Ring Prüflabor Richter GmbH), Dipl.-Ing. (FH) Ulrich Blobner (O-Ring Prüflabor Richter GmbH)

Dichtungen werden aus den verschiedensten Gründen in der Praxis geschädigt. Neben dem Erkennen der Schadensursache werden dann mögliche Abhilfemaßnahmen wichtig – für die Instandhaltung, aber auch bereits bei der Erstausrüstung von Anlagen mit Dichtungen. 

Durch die Gummielastizität kann die aus den druckbeaufschlagten Bereichen einer Dichtung resultierende Kraft bzw. Spannung in eine Erhöhung der Dichtflächenpressung umgewandelt werden (= Druckaktivierung). Je höher also der anstehende Druck ist, desto höher ist auch die daraus entstehende Dichtflächenpressung. 

Durch die Grenzen der Gummielastizität können Elastomerdichtungen bei sehr schnellen Änderungen von Betriebszuständen, d.h. bei sehr „harten“ Druckstößen und/oder den daraus resultierenden Spaltänderungen, nicht schnell genug die Dichtflächenpressung erhöhen und der Spaltänderung folgen. Dadurch kann es zu einem Überblasen bzw. Überströmen der Dichtung kommen, ohne dass die Dichtung geschädigt wird. In der Fluidtechnik finden sich dadurch immer wieder geringfügige Leckagen als Folge von Unterwanderungen der Dichtungen durch sich zyklisch wiederholende, instationäre labile Betriebszustände, die dann zu Schwitzleckagen führen.

Das dynamisch bedingte Überströmen wird von Faktoren aus den Bereichen Dichtungswerkstoff (Kälte-, Alterungsverhalten, Härte), Einsatzbedingungen (Druckanstiegsgeschwindigkeit, Temperatur) und Einbausituation (Verpressung, Spaltmaß, Oberfläche) beeinflusst.

Schadensbild und problematische Bereiche: Die Schadensbilder von Dichtungen aus Ausfällen durch dynamisch bedingte Überströmungen – häufig auch als Blow-by-Effekte bezeichnet – sind nicht immer eindeutig. Teils finden sich gar keine Beschädigungen an den Dichtungen durch den Spalt, eventuell nur leichte Querstrukturen in den Gegenflächen und dennoch kann es zu einer Leckage kommen. Aufgrund des Ausbleibens sichtbarer Primärschädigungen beim dynamisch bedingten Überströmen wird in der Praxis dieser Schadensmechanismus mit dem häufig auftretenden Folgeschaden der Strömungserosion illustriert (Bild 1, 2, 3)

Abgrenzung zu ähnlichen Schadensbildern: Schadensbilder durch dynamisch bedingtes Überströmen, die den Folgeschaden einer Strömungserosion zeigen, können mit Strömungserosionsschäden, welche durch andere Ursachen, insbesondere durch Luft, ausgelöst wurden, verwechselt werden.

Präventionsmaßnahmen: Vor allem kons­truktiv gibt es viele Maßnahmen, um ein Überströmen einer Dichtung zu verhindern. Eine der wichtigsten Stellschrauben ist die Verhinderung bzw. Einschränkung des Atmens von Spalten. Hilfreich sind auch hochwertige Oberflächengüten der Dichtflächen im Einbauraum – möglichst so, wie bei dynamischen Dichtungen üblich. Und herstellungsbedingte Querstrukturen sind auf den Einbauraumdichtflächen zu vermeiden. Ein Druckaufbau hinter der Dichtung muss verhindert werden. Es empfiehlt sich eine hohe Verpressung – Sonderprofile wie Rechteck- oder Trapezdichtungen sind diesbezüglich dem O-Ring überlegen. Bei Werkstoffen, ist denen mit einer guten Alterungsbeständigkeit der Vorzug zu geben, da diese über einen längeren Zeitraum ihre Elastizität und ihre initiale Dichtflächenpressung behalten. Eher dicke Schnurstärken bzw. Querschnitte sind wegen der längeren Kontaktbreite zu bevorzugen. Es sollten möglichst hohe Werkstoff-härten gewählt werden, welche eine hohe initiale Dichtflächenpressung erzeugen. 

Praxistipps (Prüfmöglichkeiten/Normempfehlungen): Rechteckringe oder Trapezringe (mit zunehmender Profilhöhe zur Druckseite hin) sind O-Ringen als Flanschabdichtung gegenüber im Vorteil – wenn sie auch wie
O-Ringe verpresst werden. Thermoplastische Polyurethanwerkstoffe stehen hier in sehr harten Ausführungen zur Verfügung und können auch in kleinsten Stückzahlen wirtschaftlich hergestellt werden.

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Bild 1: Erosionsriefen aus einer dynamisch bedingten Überströmung, zusätzlich hat die Dichtungsbuchse infolge der Druckstöße durch Axialbewegungen einen leichten Abrieb erzeugt (Bild: O-Ring Prüflabor Richter GmbH)

Bild 1: Erosionsriefen aus einer dynamisch bedingten Überströmung, zusätzlich hat die Dichtungsbuchse infolge der Druckstöße durch Axialbewegungen einen leichten Abrieb erzeugt (Bild: O-Ring Prüflabor Richter GmbH)

Bild 2: Erosionstrichter als Folge eines dynamisch bedingten Überströmens (Bild: O-Ring Prüflabor Richter GmbH)

Bild 2: Erosionstrichter als Folge eines dynamisch bedingten Überströmens (Bild: O-Ring Prüflabor Richter GmbH)

Bild 3: Überströmte Polyurethan-Dichtung  aus einem Gabelstapler mit Erosionsspuren (Bild: O-Ring Prüflabor Richter GmbH)

Bild 3: Überströmte Polyurethan-Dichtung aus einem Gabelstapler mit Erosionsspuren (Bild: O-Ring Prüflabor Richter GmbH)