
(Bild: adobestock_Proxima Studio)
12.08.2025 Nachhaltigkeit wird messbar
Mit dem "Overall Sustainable Equipment Effectiveness (OSEE)"-Index hat die TU Wien eine neue Industrie-Kennzahl entwickelt: Ein Datenmodell hilft, CO₂-Ausstoß, Ressourcenverbrauch und soziale Faktoren direkt in die Produktionsplanung miteinzubeziehen.
Wie nachhaltig ist unsere Industrie wirklich? Wenn man bisher über Effizienz sprach, ging es hauptsächlich darum, wie gut Maschinen ausgelastet sind, wie häufig sie ausfallen, wie schnell sie produzieren. Doch was ist mit dem CO2-Ausstoß, der direkt und indirekt verursacht wird? Was ist mit Ressourcenverbrauch oder mit sozialer Verantwortung? Ein Forschungsteam der TU Wien hat in Kooperation mit der Fraunhofer Austria Research GmbH ein neues Bewertungssystem entwickelt, mit dem Produktionsabläufe logisch modelliert werden können, um die Nachhaltigkeit zu messen und zu optimieren. Ein „Overall Sustainable Equipment Effectiveness (OSEE)“-Index soll in der Praxis dabei helfen, große gesellschaftliche Ziele mit alltäglichen betrieblichen Entscheidungen in Einklang zu bringen. Damit wird es für die Industrie auch einfacher, europäische Nachhaltigkeits-Vorgaben zu erfüllen, die in Zukunft eine wachsende Rolle spielen werden. Die Forschungsarbeit ist Teil eines von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG geförderten Projekts, in dem Forschung und Industrie kooperieren.
Natürlich will man möglichst sparsam mit Rohstoffen umgehen, möglichst wenig Energie einsetzen und möglichst selten Maschinenausfälle haben. Aber bisher ergab sich das nur aus dem Gebot der ökonomischen Sparsamkeit. Ökologische und soziale Nachhaltigkeit sind aber eigenständige Ziele. Es sind Werte für sich, die in der Unternehmenszielsetzung verankert werden müssen. Daher wollte man ein System entwickeln, das neben ökonomischen Aspekten auch ökologische und soziale Aspekte abbildet und diese für das Unternehmensmanagement greifbar, nachvollziehbar und optimierbar macht. So ist es heute bislang üblich, einen „Overall Equipment Effectiveness-Index“ (OEE) zu definieren – ein Maß dafür, wie effektiv Equipment eingesetzt wird, und zwar in Relation zur theoretisch möglichen Optimalnutzung. Alternativ wird jetzt der OSEE-Index vorgeschlagen – für „Overall Sustainable Equipment Effectiveness“.
Dabei fließen Parameter ein wie der Energieverbrauch einer Maschine, direkte und indirekte CO2-Emissionen, Verbrauch von Rohmaterialien, Schmiermitteln oder Wasser, die Abfallproduktion oder auch die Lebensdauer von Bauteilen. Gleichzeitig werden auch soziale Faktoren berücksichtigt: Wie sieht es mit den Arbeitsbedingungen bei Betrieb und Wartung aus? Wie sind die ethischen Standards entlang der Lieferkette? Wie gut funktioniert der Wissenstransfer im Betrieb? Wird durch Schulungen in ausreichendem Maß darauf geachtet, das nötige Know-how aufzubauen?
Das Team hat festgestellt, dass es in den Betrieben bereits sehr viele Daten gibt, die man nutzen kann, um solche Fragen zu beantworten. Leider würden sie – nach Aussagen des Teams – oft nicht oder nicht auf optimale Weise genutzt. So könne man etwa aus Sensordaten der Produktionsanlagen einiges lernen, man könne Betriebsdaten aus der zentralen Produktionssteuerung einfließen lassen, Einsatzzeiten und Anwesenheitsdaten des Personals, Wissensdokumentationen und Fortbildungsdaten, aber auch Erfahrungsberichte und Rückmeldungen des Wartungspersonals.
All diese Daten werden dann genutzt, um ein vielschichtiges KI-Modell der Produktionsprozesse nachzubilden. In einem Netz wird dargestellt, welche Arbeitsschritte, Maschinen und Personen von welchen anderen Arbeitsschritten, Maschinen und Personen abhängig sind. So kann man ablesen, wie verschiedene Aktivitäten einander beeinflussen, wie sich etwa ein Ausfall an einem Punkt auf andere Abläufe auswirkt – und welche Auswirkung eine bestimmte Veränderung auf die Nachhaltigkeit des Gesamtprozesses hat. Das Modell wurde nicht einfach als neuronales Netz umgesetzt, wie man es etwa von Large Language Models kennt. Damit die Ergebnisse des Modells Schritt für Schritt nachvollziehbar und erklärbar sind, wurde ein bayessches Netz, an dem man die Bedeutung jeder einzelnen Maßnahme logisch nachvollziehen kann, verwendet.
So ergibt das System nicht nur eine Kennzahl zur Nachhaltigkeit der Prozesse, es erlaubt eine konkrete Diagnostik der aktuellen Prozesse und eine fundierte Prognose darüber, wie sich ganz bestimmte Änderungen der Produktion im komplexen Netz der Arbeitsabläufe auswirken werden. Derzeit arbeitet man mit Unternehmen aus der metallverarbeitenden Industrie zusammen – einem Bereich, in dem schon kleine Verbesserungen große Nachhaltigkeitseffekte erzielen können.