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18.11.2025 Wohin entwickelt sich die anwendungstechnische Beratung in der Dichtungstechnik?
Auch diese Frage wird heute gerne mit der Zauberformel „KI“ beantwortet. Denn Dichtungs- und polymertechnisches Fachwissen ist heute in den Köpfen von vielen Menschen Mangelware und, sind wir ehrlich, es wird nach den Boomer-Jahren eher weniger zur Verfügung stehen.
Als kompetente/r Berater:in im Bereich der Dichtungs- und Polymertechnik (Elastomere, Thermoplaste, thermoplastische Elastomere) muss man allerdings über umfangreiches Dichtungs-, Werkstoff- und Verarbeitungs-Know-how sowie Regulierungswissen etc. verfügen. Industriekunden haben nur in wenigen Fällen Personal, das über dieses Wissen – einerseits in der jeweils benötigten Tiefe und andererseits entlang der Wertschöpfungskette, z.B. von der Konstruktion einer Dichtstelle bis zur Dichtungsfertigung, – verfügt.
Die anwendungstechnische Beratung der Industriekunden ist schon länger eine der zentralen Aufgaben der Dichtungs- und Polymertechnikhersteller und Händler. Das war bis heute für Spezialist:innen – je nach Projekt – nicht gerade unaufwändig. Wurde sie ohne Know-how gemacht, war es meist der Anfang von Problemen. Jetzt kommt die KI – und alles wird gut? Theoretisch ja, praktisch nein, denn auch der Einsatz der KI will in diesem Fall beherrscht sein. Anwendungstechnische Beratung ist kein Marketingtext, den man sich mal schnell und einfach schreiben lässt.
KI-Tools sind derzeit kein Ersatz – das kann ja noch kommen – für Dichtungs- und Polymer-Know-how und Erfahrungen, aber ein „Helferlein“ wie bei Daniel Düsentrieb, dem Entwickler aus dem Disney-Kosmos. Sie spart Zeit bei der Quellenrecherche nach definierten Fragestellung und bei der Strukturierung der gefundenen Daten (Werkstoffdatenblätter, Prüfberichte, Normen, Erfahrungsberichte, Laborprotokolle). Aber vorsichtig – Datenblätter enthalten z.B. gerne Marketingaussagen.
Die KI – vorausgesetzt, die richtigen Tools werden eingesetzt – kann auch Material- und Designempfehlungen geben. Anhand von Parametern (Medien, Temperatur, Druck, Einbauraum) macht sie Vorschläge zu geeigneten Werkstoffen, zu typischen Dichtungsgeometrien, möglichen Risiken (z.B. Alterung, Extrusion, Quellung). Doch Vorsicht – diese Ergebnisse müssen durch die Anwendungsberatung mit ihrer Expertise geprüft werden.
Simulationen und KI-gestützte Modelle zeigen vorab, wie sich Elastomere oder TPE unter bestimmten Bedingungen verhalten könnten. Doch Vorsicht – Simulationen bilden nicht die Realität, sondern nur eine Annäherung an diese ab. Will man hier wirklich Zeit sparen, ist wieder viel Know-how bei der Bewertung der Ergebnisse erforderlich.
KI-basiertes Wissen kann Mitarbeitende bei Kund:innen oder im Vertrieb in Gesprächen unterstützen. Darüber hinaus gibt es inzwischen KI-gestützte Beratungs-Tools in Kundenportalen, die vorqualifizierte Materialempfehlungen bzw. Alternativen liefern, bevor die Anwendungsberatung einsteigt. Doch Vorsicht – die Ergebnisse hängen stark davon ab, inwieweit ein/e Kund:in die Anforderungen an die Dichtungslösungen überhaupt ausreichend spezifizieren kann. Die Praxis zeigt, dieses Know-how haben wenige. Es hilft aber auch schon, wenn die KI Expertenwissen skaliert, strukturiert und verfügbar macht. Idealerweise mit Daten, die die Unternehmen dazu standardisiert zugänglich, und lernfähig machen.
Mein Fazit: Die KI sollte und wird Einzug in die anwendungstechnische Beratung halten. Ihre Nutzung erfordert allerdings KI-Know-how (Prompts, Kontext, Methodik) und Expertise zur Validierung der Ergebnisse. Lohnt sich der Aufwand, die Möglichkeiten und Grenzen auszuloten? Ja, denn der effektive Einsatz von KI entlastet z.B. bei Routinearbeiten und eröffnet Freiräume für die Lösung der wirklichen dichtungstechnischen Aufgabenstellungen. Sie erlaubt uns, routinierte Pfade zu verlassen und offener an Aufgabenstellungen heranzugehen. Sie bringt Know-how noch mehr zur Entfaltung und macht am Ende den Unterschied in der Beratung und im Dialog mit Kund:innen.

„KI in der Anwendungsberatung kann zum Booster für Know-how werden, ersetzen wird es dieses absehbar nicht.“ Karl-Friedrich Berger
