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09.09.2025 Wenn gute Absichten aufeinanderprallen: Die Psychologie hinter missverstandenen Vorschriften
Wir stehen – nicht nur beim Kleben – an einem paradoxen Scheideweg. Einerseits muss sich unsere industrielle Welt dringend hin zu Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und einer intelligenteren Nutzung von Materialien wandeln.
Andererseits drohen genau die Vorschriften, die diesen Wandel beschleunigen sollen, Technologien wie das Kleben, die ihn erst ermöglichen, zunehmend zu behindern. Wir, die wir in der Klebstoff- und Klebebandindustrie arbeiten, sehen das ganz klar. Neue Vorschriften – sei es im Namen der Chemikaliensicherheit, des Ökodesigns oder der Produkttransparenz – werden mit den besten Absichten ausgearbeitet. Aus unserer Sicht besteht jedoch die Gefahr, dass einige dieser Gesetze einer ganzen Branche den Lebensnerv abschneiden. Nicht, weil jemand dieses Ergebnis will, sondern weil diejenigen, die die Vorschriften ausarbeiten, oft das Kleben nicht verstehen und damit auch nicht, welche Bedeutung diese Technologie tatsächlich hat und haben wird – wenn sie uns zukünftig noch zur Verfügung steht. Sie verstehen nicht, wie Klebstoffe leichtere, sicherere und reparierbarere Produkte ermöglichen. Sie sehen nicht, wie ein einfaches Klebeband Befestigungselemente überflüssig machen, Gewicht reduzieren oder das Recycling erleichtern kann. Sie wissen nichts von den stillen, kumulativen Fortschritten, zu denen wir beitragen – weil wir vielleicht unsere Geschichte nicht gut und/oder nicht laut genug erzählen.
Mir geht es aber nicht um Schuldzuweisungen, mir geht es geht um die Psychologie hinter den aktuellen Entwicklungen. Stellen Sie sich zwei Fachleute vor: eine/n politische/n Entscheidungsträger:in in Brüssel, der/die mit der Verringerung von Umweltrisiken und der Wahrung des Gemeinwohls beauftragt ist, und eine/n Forschungs- und Entwicklungsleiter:in in der Klebstoffbranche, der/die sich mit komplexen Formulierungen, Hybridmaterialien und Kompromissen bei der Leistungsfähigkeit auseinandersetzt. Beiden liegt die Zukunft sehr am Herzen. Aber sie leben in unterschiedlichen „kognitiven Ökosystemen“. Regulierende agieren in einer Welt moralischer Klarheit: Schaden reduzieren, Sicherheit erhöhen. Ingenieur:innen leben in einer Welt der Abwägung und Zielkonflikte: Was ist der beste Klebstoff für die Applikation und ein Kreislaufsystem? Regulierende fragen: „Ist das sicher?“ Die Industrie antwortet: „Das hängt vom Kontext, dem Anwendungsfall, der Lebensdauer, dem Abbauweg ab.“ Das Ergebnis: Die Antwort passt nicht zu den Erwartungen. Das Gespräch scheitert. Und das ist keine böse Absicht – es ist ein klassischer Fall von dem, was Psychologen als doppeltes Empathieproblem bezeichnen. Das tritt dann auf, wenn zwei Gruppen mit unterschiedlichen Sicht- und Kommunikationsweisen Schwierigkeiten haben, sich gegenseitig zu verstehen – nicht aufgrund böser Absichten, sondern aufgrund unvereinbarer Denkmodelle, wobei nicht einmal geklärt ist, ob die Denkmodelle keinen gemeinsamen Nenner haben könnten. Hinzu kommt die psychologische Dynamik von „Echokammern“. Politiker konsultieren häufig NGOs, Wissenschaftler und interne Berater:innen, selten jedoch Stimmen aus der Industrie. Die Industrie wiederum kommuniziert intern oder mit Kunden und Lieferanten. Wir sprechen über Haftfestigkeit, Schälprüfungen und mehrschichtige Systeme und erst langsam darüber, wie wir mit dem Klebstoffeinsatz den CO₂-Footprint reduzieren oder die Kreislauffähigfähigkeit neu denken und damit unterstützen. Selbst wenn wir uns zu Wort melden, senden wir oft die falschen Signale, sprechen vielleicht die falsche „Sprache“. Regulierungsbehörden wollen ethische Klarheit und soziale Dringlichkeit hören. Wir liefern bedingte Daten und technische Nuancen. Sie hören Unklarheiten. Wir sehen Präzision.
Die jetzige Form der Kommunikation – die eigentlich kein Ergebnis hat – hat schwerwiegende Folgen. Wir sprechen hier nicht von langsameren Fortschritten – wir sprechen von Vorschriften, die wichtige Klebstofftechnologien ausschließen oder gänzlich verbieten könnten, ohne zu verstehen, was sie leisten. Oder was die Alternativen in Bezug auf Leistung, Sicherheit oder Nachhaltigkeit kosten würden.
Wir laufen Gefahr, aus der Diskussion ausgeschlossen zu werden – und damit aus der Zukunft, die wir mitgestalten sollen. Dieses Risiko entsteht nicht nur dadurch, dass die Anderen nicht zuhören, verstehen und lernen, sondern auch dadurch, dass wir nicht richtig kommunizieren. Wir müssen aufhören, davon auszugehen, dass unsere Relevanz selbstverständlich ist und jedem klar sein müsste. Das ist sie nicht. Wir müssen aufhören zu glauben, dass die Daten, mit denen wir das oft belegen, allein überzeugen. Das tun sie nicht. Wir müssen aufhören, darauf zu warten, dass andere „unsere Geschichte“ erzählen. Das wird wahrscheinlich niemand tun und wenn doch, können wir nicht sicher sein, dass sie richtig erzählt wird. Wir müssen den Wert der Klebtechnologie anhand unserer Wirkung – und nicht nur anhand unserer Funktion – darstellen. Wir müssen erklären, wie unsere Technologien Nachhaltigkeit ermöglichen – und nicht nur, dass sie bestimmte Spezifikationen erfüllen. Wir müssen proaktiv in den Dialog treten – und nicht defensiv, nachdem Entscheidungen bereits getroffen wurden. Wenn wir unsere Kommunikation nicht ändern, verlieren wir die Chance, die Regeln zu gestalten, die unsere Zukunft bestimmen. So einfach ist das. Das ist unser Part. Von der Regulierungsseite müssen wir erwarten dürfen, dass sie das, was sie reguliert, mit allen Auswirkungen technologisch versteht, vor einer geplanten Regulierung prüft und dass eine Bereitschaft da ist, den sinnvollen gemeinsamen Nenner zu finden. Das wird nicht einfach, denn die aktuellen Themen sind aufgrund unterschiedlicher Wechselwirkungen und Interessen vernetzt. Einen solchen einfachen Weg wird es nicht geben, und „Glaubenskriege“ haben hier keinen Platz. Psychologie, Politik und Kommunikation wirken heute bei der Nutzung von Technologien, wie dem Kleben, zusammen. Wir werden gemeinsam daran arbeiten müssen, dass Missverständnisse und singuläre Interessen nicht in Regulierungsbestrebungen einfließen. Das wird dann wohl auch nicht nur mit klassischer Lobbyarbeit, sondern mit Einsicht, Bescheidenheit, der besseren Geschichte und dem Willen zu Zusammenarbeit geschehen können. Den erlebe ich auf beiden Seiten, denn unsere gemeinsame Zukunft braucht „Bindemittel“ – eine Verbindungstechnologie, die zeigen könnte, wie das geht.

„Die Klebtechnologie steht als Ganzes unter Druck – wir müssen neue Wege einer zukunftsgerichteten Kommunikation über eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts finden.“ Dr. Evert Smit, President AFERA