Den Regenwurmeffekt bei O-Ringen minimieren

Schnitt durch ein Filtermodul (Bild: Mann + Hummel)

18.03.2019 Den Regenwurmeffekt bei O-Ringen minimieren

Beanspruchungsgerechte Montage am Beispiel der Filterdeckelverschraubung

von Dipl.-Ing. (TU) Anton Parzefall (Dichtungstechnik Wallstabe & Schneider GmbH & Co. KG)

Der O-Ring ist das in der Dichtungstechnik mit Abstand am häufigsten verwendete Dichtelement.  Kostengünstig einerseits und zuverlässig andererseits – sofern einige wichtige Kriterien bzgl. Auslegung und
Montage beachtet werden, wie das Beispiel einer Filterdeckelverschraubung zeigt.

In Ölfiltermodulen (Bild 1) wird die Abdichtung von Deckel zu Sockel i.d.R. mittels eines radial verpressten O-Rings realisiert. Der O-Ring wird dabei in die im Kunststoffdeckel eingebrachte Nut montiert. Anschließend erfährt der O-Ring während der Montage des Deckels in den Sockel mehrere sich überlagernde Belastungszustände. Eine rotatorische Bewegung wird durch eine translatorische überlagert. Der O-Ring überfährt zunächst die Einführschräge im Sockel und wird anschließend im verpressten Zustand in der Bohrung des Sockels weiterbewegt. Während der Drehbewegung kommt es zu einem unregelmäßigen Haften und Gleiten des Ringes in Umfangsrichtung. Dieser Effekt hängt im Wesentlichen von folgenden Faktoren ab:
• Exzentrizität von Deckel und Sockel zueinander. Diese kann vor allem durch die Gewinde der beiden Bauteile entstehen.
• Unrundheit von Deckel und Sockel.
• Ein sich über den Umfang ändernder Reibungskoeffizient. Dies tritt besonders bei Kunststoffbauteilen auf.

Der Regenwurmeffekt
Diese Faktoren führen dazu, dass im Ring sowohl unterschiedliche Verpressungen des Querschnittes als auch unterschiedliche Dehnungen in Umfangsrichtung auftreten. Der O-Ring wird also während der Verschraubung einer ungewöhnlich hohen Belastung ausgesetzt und kann in Einzelfällen sogar reißen.

Nach der Montage kommt der Ring u.U. in einem Zustand mit unregelmäßiger Dehnung zum Liegen. In Bereichen mit höherer Dehnung wird sich aufgrund der Volumenkonstanz von Gummi eine Schnurstärkenverringerung einstellen. Bereiche mit größerer und kleinerer Schnurstärke wechseln sich – über den Umfang gesehen – ab und werden daher oft auch als Regenwurmeffekt bezeichnet.

Im Bereich der geringen Schnurstärke kann es in Verbindung mit Exzentrizität und Unrundheiten der Bauteile zu einer reduzierten Verpressung und somit einer verringerten Dichtfunktion bis hin zur Leckage kommen.

Mittels CT-Analysen konnten Querschnittsverringerungen von bis zu 13 % nachgewiesen werden (Bild 2). Dies bedeutet wiederum, dass der Ring an diesen Stellen in Umfangsrichtung um ca. 30 % gedehnt ist.

Auswirkungen in der Praxis
Sobald das Filtermodul im Fahrzeugbetrieb erwärmt wird, kommen weitere ungünstige Effekte zum Tragen:
• Der Gough-Joule-Effekt besagt, dass sich unter Zugspannung stehender Gummi bei Temperaturerhöhung zusammenzieht. Da im vorliegenden Fall der O-Ring durch den Einbauraum daran gehindert wird, sich zusammenzuziehen, erhöhen sich die inneren Spannungen.
• Zugfestigkeit und Reißdehnung nehmen mit zunehmender Temperatur ab.
Diese Effekte führen dazu, dass der O-Ring im Einsatz bei heißem Motor seiner höchsten Beanspruchung ausgesetzt ist. Bei ungünstigem Zusammenwirken der beschriebenen Einflussgrößen kann es zu einem Reißen des Ringes kommen, selbst wenn der Ring nicht vorgeschädigt war. Typischerweise ist das Ri-

siko für einen Riss bei der ersten höheren thermischen Belastung des Systems am größten, sodass Ausfälle und somit Leckagen nach wenigen Kilometern Fahrleistung auftreten können.

Bei einer Montage der Filter ab Werk erfolgt häufig eine geschwindigkeitsgeregelte Verschraubung unter Drehmoment- und Drehwinkelüberwachung. Kritische Verschraubungen mit zu hoch belasteten O-Ringen können hierdurch recht zuverlässig erkannt werden. Problematisch sind jedoch Verschraubungen, die im Rahmen von Filterwechseln in Werkstätten durchgeführt werden. Hier herrschen keine kontrollierbaren Bedingungen und es besteht eine große Streuung zwischen den einzelnen Mechanikern.

Wie löst man das Problem?
Um das Problem zu lösen, sind vorrangig die beschriebenen Einflussgrößen zu optimieren und damit deren Auswirkung zu reduzieren.

Um den Einfluss des unregelmäßigen Haftens und Gleitens zu minimieren, können die Bauteile darüber hinaus beschichtet (Bild 3) werden:
• Die Beschichtung des Sockels mit Öl ist eine wirksame und beim Filtertausch häufig angewendete Methode. Im Originalverbau wird dies i.d.R. nicht praktiziert, da dadurch eine Verschmutzung der Einbauteile mit Öl möglich ist. Außerdem treten Scheinleckagen auf, d.h. Öl, das für die Montage verwendet wird, kann in sehr geringen Mengen aus der O-Ring-Nut herausgepresst werden und lässt eine tatsächlich nicht vorhandene Leckage vermuten.
• Eine Beölung des O-Ringes hat einen ähnlich guten Effekt, führt aber zu den selben unerwünschten Nebenwirkungen.
• Daher ist die Beschichtung des O-Ringes mit Gleitlack eine gute Alternative. Der Gleitlack muss grifffest sein, darf eventuelle Montageanlagen nicht verschmutzen und muss die Reibung in einem ausreichenden Maß reduzieren. Üblicherweise kommen Gleitlacke auf PTFE-Basis oder Silikonharz-Basis zum Einsatz. Bei Bedarf können farbige Lacke verwendet werden, z.B. um einen Kontrast zwischen O-Ring und Kunststoffdeckel herzustellen.

Um die Lacke auf Eignung für den vorliegenden Schraubfall zu prüfen, sind oft durch den Kunden vorgeschriebene Reibwertprüfungen in Anlehnung an ISO 15113 sowie Fügekraftprüfungen nicht ausreichend aussagefähig bzw. unter Umständen sogar irreführend. Nur eine Prüfung, die die überlagerten translatorischen und rotatorischen Bewegungen abbildet, führt zu verlässlichen Ergebnissen. Wallstabe & Schneider hat entsprechende Prüfmethoden entwickelt, die die Anforderungen an die Deckelverschraubung sehr gut

abbilden und ist mit einem breiten Portfolio an Lacken in der Lage, für unterschiedlichste Kundenanforderungen die beste Lösung anzubieten. Im Bedarfsfall erfolgt eine auf die speziellen Anforderungen abgestimmte Neuentwicklung einer Lackbeschichtung.

Fakten für Konstrukteure
• Der Regenwurmeffekt lässt sich durch Reduzierung von Unrundheit und Exzentrizität sowie durch gleichmäßige Oberflächenstruktur minimieren, aber nie ganz vermeiden.

Fakten für Instandhalter/Monteure
• Mit der richtigen Gleitlackbeschichtung des O-Ringes lässt sich der Regenwurmeffekt minimieren

Fakten für Qualitätsmanager
• Die Auswahl und Entwicklung des richtigen Lackes erfordert geeignete Prüfmethoden

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Bild 2: Darstellung von unterschiedlichen Schnurstärken mittels CT-Scan (Bild: Wallstabe & Schneider)

Bild 1: Darstellung von unterschiedlichen Schnurstärken mittels CT-Scan (Bild: Wallstabe & Schneider)

Bild 3: Drehmomentverlauf unterschiedlicher Varianten (Bild: Wallstabe & Schneider)

Bild 2: Drehmomentverlauf unterschiedlicher Varianten (Bild: Wallstabe & Schneider)

Lösungspartner

Dichtungstechnik Wallstabe & Schneider GmbH & Co. KG
Dichtungstechnik Wallstabe & Schneider GmbH & Co. KG

 

Branchen

Automotive

Zielgruppen

Konstruktion & Entwicklung, Instandhaltung, Qualitätssicherung